Wozu Rituale?
Dadurch, dass Rituale immer gleich ablaufen, vermitteln sie ein Gefühl der Sicherheit. Darüber hinaus entsteht auch der Eindruck, dass man eine bestimmte Situation im Griff hat oder durch das Ritual aktiv mitgestalten kann. Wem nun spontan überhaupt kein Beispiel dafür einfällt, wo Rituale in seinem Leben vorkommen, der kann kurz an Weihnachten denken: Selbst Menschen, die mit dem religiösen Kern dieses Festes nichts anfangen können, suchen im Vorfeld schöne Geschenke aus, besuchen dann an Weihnachten selbst einen Gottesdienst, stellen einen Weihnachtsbaum auf und haben ein besonderes Essen vorbereitet. Und hierbei hat jede einzelne Komponente weitere ritualartige Ausprägungen: So wird vielleicht der Weihnachtsbaum immer selbst ausgesucht oder gar gefällt, das Essen ist immer das gleiche und der Ablauf des Abends erfolgt auch auf die immer gleiche Art und Weise. Und dies ist nur eines von vielen Beispielen. Viele andere Rituale werden unbewusst ausgeführt – man denke nur an den Kaffee oder Tee, den man jeden morgen zum Start in den Tag braucht. Auch ein regelmäßiger Besuch des Sportvereins kann rituell sein. Das alles kann auch dazu beitragen, Stress abzubauen.
Ritual – Was ist das eigentlich genau?
Zunächst einmal handelt es sich bei einem Ritual um eine größtenteils vorgegebene Handlung, die feierlich abläuft und eher eine symbolische Aussage hat als eine direkte. Sie erleichtert das menschliche Miteinander und Übergänge im Leben, indem die Handlungsabläufe im Ritual weitestgehend vorgegeben sind. Dies und die hierbei verwendete Symbolik vermitteln Orientierung, auch in komplexen Lebenssituationen. Natürlich ist auch das tägliche Gassigehen mit dem Hund ein Ritual, aber diesem alltäglichen Ritual mangelt es an einer Überhöhung, die es in einen größeren Kontext stellt. Andere Rituale wiederum verfügen über diese Überhöhung, mit der Bezug auf einen höheren, ideellen Wert genommen wird, z. B. bei der Vereidigung von Politikern, bei der ein Eid auf die Verfassung geleistet wird. Aber auch bei einer Hochzeit wird Bezug auf das Ideal der Treue genommen – zudem ändert sich durch ein solches Ritual der Status der Beteiligten, denn aus einem Mann wird ein Ehemann und aus einer Frau eine Ehefrau. Dieser Übergang wird durch das Ritual begleitet.1
Wie viel Ritual ist gesund?
Die Frage, ob es ein zu viel oder zu wenig an Ritualen gibt, lässt sich pauschal natürlich nicht beantworten. Denn dafür kommt es viel zu sehr auf die Herkunft der betreffenden Person und ihre persönlichen Lebensumstände an. Manche Menschen benötigen mehr Sicherheit und somit mehr Rituale, während andere sich von derselben Anzahl eingeengt und vielleicht bevormundet fühlen würden. Du musst also den richtigen Weg für Dich selbst finden.
Welche Rituale sind sinnvoll?
Generell lässt sich sagen, dass Rituale dann sinnvoll sind, wenn sie Sicherheit und Geborgenheit schaffen. Das sind natürlich subjektive Empfindungen, und daher fällt die Antwort auch hier individuell aus. Wir haben aber ein paar Beispiele gesammelt.
Einfache Rituale
Rituale müssen nicht zwangsläufig komplex sein. Du kannst Dir beispielsweise einfach ein schönes Kästchen suchen, das als Aufbewahrungsort für alles Lob gilt, das andere Dir gegenüber äußern. Schreib es täglich auf schönes Papier und bewahre es auf. Das ist natürlich auch sehr gut geeignet, wenn Du mal Aufmunterung brauchst!
Es empfiehlt sich außerdem, den Tag immer mit einem kleinen Ritual zu beginnen, bei dem man sich nur Zeit für sich selbst nimmt. Es reicht völlig, wenn man hierbei ruhig auf der Bettkante sitzt, aus dem Fenster schaut und vor dem geistigen Auge vorüberziehenlässt, was dieser Tag Gutes bringen kann. Hierzu kann man auch eine Atemübung einbauen. Das ist auch gleichzeitig eine gute Achtsamkeitsübung!
Abends kann man sich angewöhnen, eine Art Glückstagebuch zu führen. Darin sollen nur die positiven Ereignisse aufgeführt werden, die sich im Laufe des Tages ereignet haben, und man sollte jeden Abend mindestens drei Punkte finden. Das Ritual hat den großen Vorteil, dass der Fokus wieder darauf gerichtet wird, dass das eigene Leben gar nicht so schlecht ist, wie man möglicherweise annimmt – und darauf, was Glück ist. Das kann mit der Zeit zu einer positiveren Lebenseinstellung führen.
Mini-Rituale
Für viele, denen schon das Wort „Ritual“ Angst vor zuviel Esoterik oder ähnlichem macht, gibt es ein einfaches, aber dennoch wirksames Ritual, das sich eigentlich überall im Alltag einbauen lässt. Man denkt sich in einer beliebigen Situation – das kann an der Supermarktkasse sein oder im Stau – ein Stoppschild vor dem geistigen Auge und hält kurz inne. Dann macht man sich bewusst, wie es einem in diesem Moment geht – ist man angespannt, locker, geht es einem gut oder schlecht? Es geht nicht darum, die Situation zu bewerten, sondern nur, sie wahrzunehmen. Kurz nochmal bewusst ein- aund ausatmen – und direkt danach kann’s weitergehen. Dieses Ritual sollte sich problemlos zwei- bis dreimal am Tag einbauen lassen. Schöner Nebeneffekt: Es führt auch zur Entschleunigung!
Von großer Bedeutung ist auch eine gemeinsame Mahlzeit mit dem Partner oder der Familie. Insbesondere für Kinder ist das gemeinsame Essen ein wichtiger Fixpunkt, bei dem man sich auch austauschen kann. So lassen sich auch Probleme in entspannterer Atmosphäre besprechen und lösen. Natürlich findet jeder noch zahlreiche andere Möglichkeiten, Rituale in seinen Tagesablauf einzubauen. Und der Phantasie sind hier nur wenige Grenzen gesetzt.
Quelle
1 Michaels, A.: Wozu Rituale? In: Spektrum der Wissenschaft Spezial 1/2011